Scharfe Kritik anlässlich des Weltkindertags
Anlässlich des Weltkindertages übt der Bundesverband der Arbeiterwohlfahrt scharfe Kritik am gesellschaftlichen und politischen Umgang mit Kindern und Jugendlichen. Der Verband fordert mehr politische Beteiligung von Kindern und Jugendlichen und nachhaltige Investitionen in Armutsprävention, Teilhabe und Bildung. Anderenfalls werde die Zukunft ganzer Generationen auf’s Spiel gesetzt. Dazu erklärt AWO-Präsident Michael Groß:
„Wir haben von Kindern und Jugendliche in den letzten Jahren außerordentliche Anpassungsleistungen abverlangt. Die Belastungen (vulnerabler) Kinder und ihrer Familien sind zusätzlich zur Pandemie durch Krieg, Inflation und spürbare Klimakrisenfolgen noch verstärkt worden. Wir sind dabei, die Zukunft dieser Generationen zu verspielen, und nehmen in Kauf, dass sich Bildungs- und Chancengräben weiter vertiefen. Seit Jahrzehnten wissen wir, wie wichtig die Weichenstellungen in Kindheit und Jugend für ein erfolgreiches und glückliches Leben sind. Trotzdem ist jedes fünfte Kind von Armut bedroht; durch die Pandemie hat sich die Gesamtsituation weiter verschärft. Fast 3 Millionen Kinder leben hierzulande in Armut. Schulen sind marode, wichtige Förder-, Bildungs-, Kultur- und Freizeitangebote werden gestrichen, die Digitalisierung wurde verschlafen und für Schulen und Betreuungseinrichtungen gibt es nach wie vor keine flächendeckenden Maßnahmen, um Kinder, ihre Familien und die in den Angeboten Beschäftigten besser vor der nächsten Corona-Welle und deren Langzeitfolgen zu schützen. Einrichtungen und Dienste der Kinder- und Jugendhilfe und der Eingliederungshilfe kämpfen mit dem Fachkräftemangel und unzureichender Finanzierung. Bundesweit fehlen bis zu 40.000 Lehrkräfte. Es braucht jetzt eine gesamtgesellschaftliche Anstrengung, um diesen unerträglichen Missstand zu beenden.“
Die AWO fordert daher einen grundlegenden Kurswechsel. Groß: „Der sichere Zugang zu Bildungs- und Teilhabeangeboten muss gewährleistet sein – und zwar für alle Kinder.
Ein besonderer Blick muss auf armutsbelastete Kinder, Kinder mit Behinderungen, Kinder mit chronischen Erkrankungen und deren Familien sowie auf geflüchtete Kinder und Jugendliche und ihre Familien gelegt werden. Gute Bildung in Kindertageseinrichtungen und Schulen braucht auch hinsichtlich gleichwertiger Lebensverhältnisse verbindliche Qualitätsstandards, genügend ausreichend personelle und finanzielle Ressourcen und eine gute Ausstattung, damit Bildung nicht vom Wohnort abhängt. Kinder und Jugendliche sind Expert*innen in eigener Sache. Sie sind an den Debatten zu Schließungen, (Wieder-)Öffnungen von Bildungs-, Betreuungs- und Jugendeinrichtungen auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene zu beteiligen. Die Prozesse sind inklusiv und barrierefrei zu gestalten. Ressourcen sind dafür bereit zu stellen.
Politisches Handeln ist auf die Behebung der Probleme in der Gegenwart gerichtet. Aber gute Politik ist daran erkennbar, dass sie die Zukunft im Blick hat. Der Fokus muss darauf gerichtet sein, Kindern eine gerechte, friedliche, gesunde und nachhaltige Welt zu schaffen.“
Forderungen:
Angesichts der stetig steigenden Kosten für Energie, Wohnen, Konsumgüter und Lebensmittel ist die Kindergelderhöhung ein wichtiges Zeichen. Dennoch braucht es schnell die Umsetzung weitreichender Konzepte wie der einkommensabhängigen Kindergrundsicherung, damit armutsbetroffene und armutsgefährdete Kinder und ihre Familien angemessen unterstützt werden.
Neben der Partizipation von Kindern und finanzieller Unterstützung ist eine bedarfsdeckende und qualitativ hochwertige Bildungsinfrastruktur ein weiterer wichtiger Baustein. Dafür gilt es vor allem, existierende erfolgreiche Programme weiterzuführen, den Fachkräftemangel zu beheben und Bildung sicher und gesund zu ermöglichen. Wir beobachten, dass sich die Bildungschancen und Teilhabemöglichkeiten für Kinder weiter verschlechtern und nicht schnell und energisch genug Maßnahmen dagegen auf den Weg gebracht werden. Dabei stellt Bildung ein wichtiges Fundament für den weiteren Lebensverlauf dar. Finanzielle Einsparungen sind absolut fehl am Platz. Seit Jahren ist klar, dass Schulen nach den pandemischen Einschränkungen dringend modernisiert und digitalisiert werden müssen. Es braucht ein stabiles, gerechtes, bedarfsdeckendes und kindorientiertes Bildungsfundament, damit Bildungschancen zu guten Lebenschancen werden.
Die AWO fordert außerdem eine starke offene Kinder- und Jugendarbeit. Kinder und Jugendliche brauchen freie Zeit und offene Räume. Diese Freiräume müssen nicht nur erhalten und gefestigt, sondern zurückgewonnen und barrierefrei ausgebaut werden.
Gerade zeigt sich am Beispiel der Sprach-Kitas, wie kurzsichtig politische Entscheidungen aus Kostengründen getroffen würden. Anfang Juli wurde verkündet, dass das Bundesprogramm Sprach-Kitas zum Jahresende auslaufen soll – obwohl im Koalitionsvertrag die Fortführung und Weiterentwicklung explizit aufgeführt wurde. Damit verlieren über 7000 Kindertageseinrichtungen ihre Unterstützung durch zusätzliche Sprach-Fachkräfte. Über 500 000 Kinder haben durch das Bundesprogramm profitiert und wurden in ihren Entwicklungschancen gefördert. Gerade in Zeiten des Fachkräftemangels in der Kindertagesbetreuung sei diese Entscheidung ein vernichtendes Signal an das Arbeitsfeld.
Auch in anderen Arbeitsfeldern der Kinder- und Jugendhilfe und Eingliederungshilfe verschärft sich die Personalsituation zusehends. Ohne qualifizierte Fachkräfte können aber keine guten Angebote für Kinder und Jugendliche gemacht werden – der Bereich Ganztagsbetreuung an Grundschulen ist durch den Rechtsanspruch auf Ganztagsförderung ab 2026 nur die offensichtlichste Baustelle: alleine hier werden über 100 000 Fachkräfte in den nächsten Jahren fehlen. Der Fachkräftemangel herrscht aber auch in anderen sozialen Bereichen wie den Hilfen zur Erziehung oder in Beratungsstellen. Diese Arbeitsfelder dürfen nicht vergessen werden, denn sie leisten einen enorm wichtigen Beitrag für Kinder und ihre Familien.