Koalitionsvertrag – ein Abgleich mit den AWO-Forderungen

Sozialer Klimaschutz? Nicht vorgesehen! Demokratiefördergesetz? Fehlanzeige! Steuergerechtigkeit? Nicht geplant! Der kürzlich vorgestellte Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD steht aus unserer Sicht nicht für gesellschaftlichen Fortschritt.
Wir haben den Vertrag unter die Lupe genommen und mit unseren im Rahmen der Bundestagswahl-Kampagne aufgestellten Forderungen an das Regierungsprogramm abgeglichen. Unsere Auswertung schlüsselt auf, welche Punkte wir im Koalitionsvertrag komplett vermissen, welche unserer Meinung nach nicht ausreichend konkret formuliert sind und welche Ansätze uns dennoch hoffen lassen.
Was steckt im Koalitionsvertrag?
Die AWO fordert
Klimaschutz kann und muss als generationenübergreifende Menschheitsaufgabe begriffen werden. Damit das gelingt, braucht es massive öffentliche Investitionen, insbesondere für die Transformation in den Bereichen Gebäude und Verkehr. Den Ungerechtigkeiten der Klimakrise muss mit sozialen Maßnahmen zum Schutz der besonders vulnerablen Gruppen begegnet werden.
Es braucht einerseits regulative Maßnahmen, die das Verursacherprinzip bei der Erreichung der Klimaziele berücksichtigen und fossile Subventionen beenden. Andererseits braucht es ein sozial gestaffeltes Klimageld, da Klimaschutz nur durch gerechte Verteilung wirksam wird und Akzeptanz finden kann.
Das steckt im Koalitionsvertrag
Beim sozialen Klimaschutz ist kein Fortschritt in Sicht: Es wird kein soziales Klimageld eingeführt. Auch das Verursacherprinzip wird nicht berücksichtigt: Unsoziale fossile Subventionen werden nicht abgeschafft, sondern ausgebaut: die Agrardiesel-Rückvergütung wird wieder eingeführt, die kürzlich erfolgte Erhöhung der Luftverkehrsteuer soll zurückgenommen und die Pendlerpauschale sogar erhöht werden.
Investitionen in die Transformation soll es hingegen geben: Sowohl im Verkehrs- als auch im Gebäudebereich sollen Mittel aus dem Sondervermögen Infrastruktur genutzt werden, um klimafreundliche Investitionen zu tätigen. Außerdem werden jährlich 10 Mrd. Euro aus dem Sondervermögen dem Klima- und Transformationsfonds (KTF) zugewiesen
Die AWO fordert
Viele Menschen sind durch mangelnde Barrierefreiheit stark in ihrer selbstbestimmten Lebensgestaltung und gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft eingeschränkt. Wir sind deshalb dafür, den individuellen Diskriminierungs- und Gewaltschutz zu verbessern und Deutschland barrierefreier zu machen – in der analogen genau wie in der digitalen Welt.
Dafür braucht es ein Disability Mainstreaming aller Gesetzesvorhaben und Reformen, aber auch der Bundesprogramme, damit gesetzliche und finanzielle Rahmenbedingungen zur Förderung von Barrierefreiheit und Inklusion geschaffen werden. Und es braucht eine partizipative Entwicklung einer Gesamtstrategie zur Schaffung eines offenen, inklusiven und zugänglichen Ausbildungs- und Arbeitsmarktes. Das Gesetz zur Gleichstellung behinderter Menschen (BGG), das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) und das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz müssen wirksame Sanktionsmechanismen und einklagbare Rechte verbindlich regeln. Dabei müssen auch Personen ohne anerkannte Behinderung in den Blick genommen werden, die aufgrund ihrer Lebenssituation keine echte Teilhabe erfahren, wie z.B. ältere Menschen oder Armutsbetroffene.
Die digitale Transformation muss ebenfalls sozial und teilhabeorientiert gestaltet werden. In einer zunehmend digitalisierten Gesellschaft darf es keine Ausgrenzung geben. Niemand darf ausgegrenzt werden, nur weil er oder sie nicht über die notwendige Ausstattung oder digitalen Kompetenzen verfügt bzw. System nicht ausreichend barrierefrei gestaltetet ist.
Das steckt im Koalitionsvertrag
Bei Barrierefreiheit und Inklusion bekennt sich der Koalitionsvertrag zu Reformen: Das Gesetz zur Gleichstellung behinderter Menschen (BGG) soll weiterentwickelt, der Arbeitsmarktzugang für Menschen mit Behinderung unterstützt, der Gewaltschutz gestärkt und die Barrierefreiheit verbessert werden. Bis 2035 sollen alle Bauten des Bundes barrierefrei sein – doch darüber hinaus finden sich kaum konkrete Ideen, wie die Reformen ausgestaltet werden sollen.
Digitale Barrierefreiheit und Teilhabe werden ebenfalls adressiert und sollen gestärkt werden, u.a. durch die Berücksichtigung der Belange von Menschen mit Behinderungen bei der Entwicklung von KI-Systemen und die Unterstützung beim Erwerb von Digitalkompetenz. Aber auch hier: Wie es konkret gehen soll, verrät der Koalitionsvertrag nicht.
Die AWO fordert
Zivilgesellschaftlich Engagierte und demokratische Mitgliederorganisationen sind das Rückgrat der Demokratie. Sie zu stärken und entschlossen gegen Bedrohungen der Demokratie vorzugehen, ist eine wichtige Aufgabe aller politisch Verantwortlichen. Zur langfristigen Stabilisierung muss in der nächsten Legislaturperiode das Demokratiefördergesetz endlich verabschiedet werden.
Auch müssen die Förderprogramme zur Demokratiestärkung und zur Prävention von Demokratiefeindlichkeit sowie zur Bekämpfung von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit (Demokratie Leben, Zusammenhalt durch Teilhabe, JMD Respekt Coaches) verlässlich und dauerhaft finanziell abgesichert werden.
Das steckt im Koalitionsvertrag
Demokratiefördergesetz? Fehlanzeige! Stattdessen soll das Programm „Demokratie Leben“ zwar fortgeführt, aber kritisch evaluiert werden – dabei ist in verschiedenen wissenschaftlichen Begleitforschungen bereits die Wirkung des Programms bewiesen worden.
Das Programm „Zusammenhalt durch Teilhabe“ wird nicht genannt; die Respekt Coaches sollten durch eine Dynamisierung der Mittel im Kinder- und Jugendplan abgesichert sein – erwähnt werden auch sie nicht.
Immerhin sollen zivilgesellschaftliche Engagierte grundsätzlich mit dem “Zukunftspaket Ehrenamt” gestärkt werden.
Die AWO fordert
Wir sind dafür, dass jeder Mensch einen Freiwilligendienste machen kann. Mit einem durchsetzbaren Recht auf einen Freiwilligendienst geht die Verpflichtung der Gesellschaft einher, diesen Dienst für die Gemeinschaft allen zu ermöglichen. Wenn jeder Freiwilligenplatz vom Bund gefördert wird und jede*r Freiwillige ein auskömmliches Freiwilligengeld erhält, fallen sowohl komplizierte Kontingentierungen und formale Hindernisse als auch Barrieren aufgrund des sozialen Hintergrunds der Freiwilligen weg. Eine umfassende Information und Beratung aller Schulabgänger*innen erhöhen den Bekanntheitsgrad und die gesellschaftliche Wertschätzung. Dadurch wird eine Kultur selbstverständlicher Freiwilligkeit etabliert, in der es zum Aufwachsen dazugehört, einen Freiwilligendienst zu absolvieren. In wenigen Jahren können so die Freiwilligenzahlen mindestens verdoppelt werden.
Kurz- und mittelfristig müssen die Bundesmittel für die Freiwilligendienste gesichert und ausgebaut werden, es braucht eine Lösung für die Problematik der Überjährigkeit, die die Träger jedes Jahr aufs Neue im Ungewissen über die künftige Finanzierung lässt.
Auch der Bundesarbeitskreises FSJ hat ein Positionspapier zur Bundestagswahl 2025 veröffentlicht. Kernforderung ist, wie im Rahmen der Vision 2030 vorgestellt, die Einführung eines Rechts auf Engagement – ein Recht auf einen Freiwilligendienst.
Das steckt im Koalitionsvertrag
Im Vertrag sind die Freiwilligendienste in zwei Kapiteln genannt – sowohl im Kapitel zu Familie, Jugend und Demokratie als auch in dem zu Sport und Ehrenamt.
Mit der Zusage, die Freiwilligendienste zu stärken, die überjährige Finanzierung sicherzustellen und die Strukturen und Plätze sukzessive auszubauen, wird unserer Forderung zur Sicherung und zum Ausbau der Dienste sowie nach einer Lösung für die Überjährigkeitsproblematik nachgekommen.
Der von uns geforderte Rechtsanspruch, der sowohl die Finanzierung aller Plätze als auch die umfassende Information und Beratung aller jungen Menschen beinhaltet, findet sich so nicht im Vertrag. Wir sehen aber durchaus eine Anschlussfähigkeit an die genannten Pläne, es Jugendlichen zu ermöglichen, sich unabhängig vom Geldbeutel der Eltern für einen Freiwilligendienst zu entscheiden und mehr Finanzmittel für ein höheres Taschengeld zur Verfügung zu stellen.
Dass bei den Freiwilligendiensten grundsätzlich auf Freiwilligkeit gesetzt wird und sich die Idee eines verpflichtendes Gesellschaftsjahres offensichtlich nicht durchgesetzt hat, ist gut. Fraglich ist aber, inwiefern der Passus „wir schaffen einen neuen attraktiven Wehrdienst, der zunächst auf Freiwilligkeit basiert“ darauf hinweist, dass ggf. zu einem späteren Zeitpunkt eine Wehrpflicht eingeführt wird.
Die AWO fordert
Wir sind für eine Ausweitung des Versichertenkreises der gesetzlichen Sozial- und Krankenversicherung auf alle Berufsgruppen und alle Einkommensarten. Dabei müssen die Beitragsbemessung und die Beitragsbemessungsgrenze auf das Niveau der gesetzlichen Rentenversicherung angepasst werden.
Das steckt im Koalitionsvertrag
Fehlanzeige! Die Bürgerversicherung in der Sozial- und Krankenversicherung kommt nicht. Auch nicht einzelne Elemente wie die Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze.
Die AWO fordert
Wir sind dafür, dass die pflegebedingten Kosten wieder vollständig von der Pflegekasse übernommen werden. Dafür braucht es neben einer Ausweitung des Versichertenkreises kurzfristig steuerliche Zuschüsse, um Pflegebedürftige solidarisch zu entlasten. Auch pflegende Angehörige müssen gestärkt und entlastet werden. Das ist zu schaffen durch eine Ausweitung der Familienpflegezeit und ein Familienpflegegeld analog zum Elterngeld, durch bürokratieärmere Antragsverfahren, durch Pflegeberatung als Leistung der Pflegeversicherung in Form von Beratungsgutscheinen, sowie die Förderung des Ausbaus von Tagespflegen, Kurzzeitpflegen und Nachbarschaftshilfen sowie durch einen besseren Zugang zu digitalen Pflegeanwendungen.
Das steckt im Koalitionsvertrag
Zwar soll die Pflegeversicherung finanziell abgesichert und nachhaltig aufgestellt werden – doch Eckpunkte für eine Reform werden nicht genannt. Stattdessen soll sich eine Bund-Länder-Kommission damit befassen und noch 2025 vorlegen, wie u.a. mit versicherungsfremden Leistungen umgegangen werden soll und ob die Eigenanteile begrenzt werden können. Eine Ausweitung des Versichertenkreises ist nicht geplant, ebenso wenig wie der Ausgleich der pandemiebedingten Kosten der sozialen Pflegeversicherung aus Steuermitteln. Alles steht unter Finanzierungsvorbehalt und ein Ziel ist es, die Ausgabendynamik zu stoppen, um die Lücke zwischen Ausgaben und Einnahmen zu schließen.
Die Familienzeit- und Familienpflegezeitgesetze sollen zusammengelegt werden, Freistellungsansprüche flexibilisiert und für einen größeren Berechtigtenkreis geöffnet werden. Für das Familienpflegegeld gibt es lediglich einen Prüfauftrag.
Die ambulante Pflege soll gestärkt werden – wie genau, bleibt offen.
Die AWO fordert
Wir sind für den Schutz von Geflüchteten in Deutschland und Europa. Wir setzen uns ein für eine international gerechte Verantwortungsteilung, um Menschenrechtsverletzungen zu verhindern. Wir wollen Zugänge zu fairen Asylverfahren in Deutschland und Europa, aber auch den Ausbau von humanitären Aufnahme- und Resettlementverfahren. Zudem braucht es staatliche Seenotrettung, welche durch zivile Seenotrettung unterstützt werden kann. Mit dem New Pakt bekommt die Europäische Union ein neues gemeinsames Asylsystem. Gemäß ihren Werten, Solidarität und Zusammenhalt wollen wir die Entwicklung eines funktionierenden und gerechten Asylsystems welches die Genfer Flüchtlingskonvention, das primäre EU-Recht einschließlich der EU-Charta der Grundrechte uneingeschränkt beachtet. Hierzu muss Deutschland seinen Verpflichtungen rechtzeitig nachkommen und seinen Solidaritätsbeitrag möglichst in Form der Aufnahme von Schutzsuchenden leisten. Deutschland soll keine Abkommen mit Staaten schließen, die Menschenrechte missachten und den Schutz von Geflüchteten nicht gewährleisten – das Gebot der Nicht-Zurückweisung (Non-Refoulement) ist jederzeit einzuhalten.
Wir sind dafür, das Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) zugunsten einer Erweiterung des SGB II und XII auf alle Menschen in unserem Land abzuschaffen. Das heutige AsylbLG verwehrt Geflüchteten das gesetzlich definierte Existenzminimum. Leistungen des AsylbLG fallen deutlich geringer aus als die Sozialleistungen nach SGB II oder XII. Durch die abgesenkten Sozialleistungen des AsylbLG kann die Teilhabe am Erwerbsleben schwerer erreicht werden. Zudem werden hohe Kosten für eine Doppelstruktur in Kauf genommen, aus Sorge um einen unbewiesenen „Pullfaktor“. Nur mit einem gleichlaufenden Sozialsystem können wir Schutzsuchende angemessen dabei unterstützen, ihr Leben unabhängig zu führen und die Verwaltung entlasten.
Das steckt im Koalitionsvertrag
Das Asylrecht und der Schutz von Geflüchteten werden nicht gestärkt, sondern massiv ausgehöhlt. Statt Zugänge zu Asylverfahren zu schaffen, werden Zurückweisungen an den Grenzen eingeführt. Statt Aufnahme- und Resettlementverfahren auszubauen, werden die freiwilligen Aufnahmeprogramme (“soweit wie möglich”) abgeschafft und der Familiennachzug für subsidiär Schutzbedürftige befristet für zwei Jahre ausgesetzt. Migrations- sowie Rückführungsabkommen mit Drittstaaten werden ausgebaut.
Das Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) bleibt erhalten und Geflüchtete sollen nicht in die Regelsysteme der Grundsicherung aufgenommen werden. Das Gegenteil ist der Fall: Ukrainische Geflüchtete, die nach dem 01. April 2025 nach Deutschland einreisen, sollen nicht mehr wie bisher Leistungen nach SGB II erhalten, sondern in den Rechtskreis des AsylbLG wechseln.
Die AWO fordert
Wir stehen für und stärken die körperliche und reproduktive Selbstbestimmung. Nach der Abschaffung des sog. „Werbeverbot“ für Schwangerschaftsabbrüche, muss nun auch der §218 des Strafgesetzbuchs gestrichen werden – denn dieser Paragraf definiert das selbstbestimmte Beenden einer Schwangerschaft als Straftat. Das verstößt gegen menschenrechtliche Verpflichtungen. In einer offenen, gleichberechtigten und gerechten Gesellschaft können Schwangere ihr Recht auf die selbstbestimmte Entscheidung eine Schwangerschaft fortzuführen oder zu beenden frei leben.
Individuelle Lebensentwürfe selbstverständlich wählen und sichern zu können, kostenfreien und sicheren Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen und Verhütungsmitteln zu haben, bedeutet echte demokratische Teilhabe. Der Sozialstaat übernimmt die Verantwortung für bestehende soziale Ungleichheiten, die mit einer Schwangerschaft entstehen und begegnet diesen angemessen über sozial- und familienpolitische Maßnahmen. Die Beratungsstelleninfrastruktur und der Zugang zu Information rund um Schwangerschaft, Verhütung und Sexualität(en) muss abgesichert sein und bedarfsgerecht ausgebaut werden.
Das steckt im Koalitionsvertrag
Paragraf 218 StGB bleibt.
Aber immerhin: Die Versorgungslage bei Schwangerschaftsabbrüchen soll verbessert und die Kostenübernahme durch die Kassen erweitert werden. Die Ausweitung des Zugangs zu kostenlosen Verhütungsmitteln für Frauen bis zu 24 Jahren soll geprüft werden.
Die AWO fordert
Wir fordern den flächendeckenden Ausbau von Schutzeinrichtungen und Fachberatungsstellen bei häuslicher und geschlechtsspezifischer Gewalt, damit jede gewaltbetroffene Person und deren Kinder umgehend Zugang zu Schutz und Beratung findet. Hierzu müssen Investitions- und Förderprogramme für den Aus- und Aufbau eines bedarfsgerechten, wohnortnahen und barrierefreien Hilfesystems für von geschlechtsspezifischer Gewalt betroffene Frauen und Kinder aufgelegt werden. Fachstellen für Täter*innen müssen flächendeckend als Regelangebot aufgebaut und finanziert werden. Interventionsstellen bei häuslicher Gewalt müssen in allen Bundesländern verankert und gestärkt werden.
Die Istanbul-Konvention muss vollumfänglich umgesetzt werden. Geschlechtsspezifische Gewalt gegen Frauen muss im Curriculum des Studiengangs Soziale Arbeit verankert werden.
Das steckt im Koalitionsvertrag
Der Ausbau von Frauenhäusern und Beratungsstellen wird nicht erwähnt. Die Gewaltschutz- und Täterarbeit soll zwar verstärkt werden – welche konkreten Maßnahmen dahinterstecken, bleibt offen.
Die Istanbul-Konvention soll weiter umgesetzt werden. Dazu soll es einen „Nationalen Aktionsplan“ geben.
Die AWO fordert
Wir sind für eine Gesellschaft ohne Armut. Dafür braucht es zunächst eine grundsätzliche Neuermittlung des sozialhilferechtlichen Existenzminimums. Dazu gehört der Ausschluss verdeckt Armer aus der Referenzgruppe sowie einen Verzicht auf alle nicht begründbaren Streichungen. Es muss anhand von Indikatoren nachgewiesen werden, dass das verfügbare Einkommen in der Referenzgruppe für ein Leben in Würde ausreicht. Das Existenzminimum soll für alle Leistungsbeziehenden im SGB II und SGB XII sowie Menschen, die derzeit Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz erhalten, gleichermaßen gelten.
Neben höheren Regelbedarfen sind kostenlose Kita- und Schulverpflegungen als zentraler Hebel gegen Ernährungsarmut zu betrachten. Die AWO setzt sich daher für eine kostenlose Kita- und Schulverpflegung für alle Kinder und Jugendlichen ein.
Darüber hinaus fordern wir eine Überarbeitung der Einkommensanrechnung im Bürgergeld, die es Bürgergeldempfänger*innen ermöglicht, mehr von dem zu behalten, was sie durch Lohnarbeit verdienen. Sanktionen in der Grundsicherung für Arbeitsuchende sind mit dem Menschenbild der AWO unvereinbar und müssen abgeschafft werden.
Die Bedarfe von Alleinerziehenden sind besonders zu berücksichtigen, da sie sehr häufig und strukturell von Armut betroffen sind. Zudem wächst die Zahl der Ein–Eltern-Familien von Jahr zu Jahr, immer mehr Kinder werden in Zukunft von Armut betroffen sein. Darüber hinaus braucht es die Einführung eines Umgangsmehrbedarfs für Trennungskinder im Sozialrecht sowie einer Steuergutschrift.
Wir kämpfen gegen Altersarmut und für ein stabiles Rentenniveau. Gleichzeitig müssen die Beiträge für Beschäftigte leistbar bleiben und die Folgen des demographischen Wandels dürfen nicht auf dem Rücken der jüngeren Generationen lasten. Wir fordern daher eine Einbeziehung von weiteren Personengruppen, wie Beamt*innen und Selbständigen in die gesetzliche Altersvorsorge nach dem Vorbild einer Erwerbstätigenversicherung.
Wohnen ist eine große soziale Frage – und leider ein echtes Armutsrisiko. Deswegen wollen wir eine Wende in der Miet- und Wohnungspolitik. Wir brauchen eine zuverlässige Förderung für sozialen, kommunalen und gemeinnützigen Wohnungsbau, um den gemeinwohlorientierten Wohnungssektor in Deutschland wieder zu stärken. Die Mietpreisbremse muss verschärft werden; außerdem braucht es einen Mietenstopp in besonders angespannten Wohnungsmärkten. Wir fordern eine Ausweitung der Schonfristregelungen auf ordentliche Kündigungen: wer seine Mietrückstände bezahlt, muss weiterhin in seiner Wohnung bleiben können.
Um Wohnungslosigkeit wirksam zu bekämpfen, muss verhindert werden, dass noch mehr Menschen ihre Wohnung verlieren – durch einen Ausbau von Fachstellen und eine Stärkung der Präventionsarbeit. Darüber hinaus setzen wir uns für eine Etablierung von menschenwürdigen Mindeststandards in Notunterkünften und für ein differenziertes Hilfesystem ein, um die verschiedenen Bedarfsgruppen gut zu erreichen.
Armut ist auch eine gesamteuropäische Herausforderung. Viele Millionen Menschen in der EU sind davon betroffen. Ein zentraler Baustein in der Armutsbekämpfung in der EU sind die nationalen Systeme der Mindestsicherung der Mitgliedstaaten. Die Bundesregierung muss sich daher auf EU-Ebene für eine verbindliche Rahmenrichtlinie für Mindestsicherungssysteme einsetzen.
Das steckt im Koalitionsvertrag
Im Bereich der Armutsbekämpfung drohen erhebliche Rückschritte. Statt die Regelsätze im Bürgergeld realistisch neu zu bemessen, soll der Anpassungsmechanismus zurück auf den Rechtsstand vor der Corona-Pandemie geführt werden. Eine Reform der Einkommensanrechnung ist nicht geplant. Sanktionen sollen verschärft, statt abgeschafft werden – bis hin zu verfassungswidrigen Totalsanktionen. Auch weitere Elemente des Bürgergelds wie die Höhe des Schonvermögens sollen angegangen werden, um das Bürgergeld zu einer „Neuen Grundsicherung“ umzubauen, die Hartz-IV ähnelt.
Kostenlose Mittagessen soll es auch weiter nur für Kinder mit Anspruch auf Leistungen aus dem Bildungs- und Teilhabepaket (BuT) geben. Hier sollen Vereinfachungen bei der Beantragung kommen und die KiTas und Schulen im Startchancen-Programm sollen als Modellstandorte für ein bürokratiearmes BuT-Budget für das Mittagessen fungieren – was auch immer dies konkret heißen soll.
Für Alleinerziehende soll das Kindergeld zukünftig nur noch hälftig auf den Unterhaltsvorschuss angerechnet werden; außerdem soll der steuerliche Alleinerziehenden-Entlastungsbetrag angehoben oder weiterentwickelt werden, ohne dass dafür konkrete Ideen bekannt gegeben werden. Wenn Unterhalt nicht gezahlt wird, soll es dafür künftig härtere Strafen geben, eventuell auch den Entzug des Führerscheins.
Das Rentenniveau wird bei 48 Prozent nach 45 Beitragsjahren zwar bis 2031 stabilisiert, doch eine strukturelle Reform hin zu einer Rentenversicherung, in die alle Erwerbstätigen einzahlen, kommt nicht. Damit bleibt das Finanzierungsproblem der umlagefinanzierten Rente bestehen.
Beim Thema Mieten wird lediglich eine vierjährige Verlängerung der Mietpreisbremse angekündigt. Ein Mietenstopp bzw. Mietendeckel kommt nicht. In den (sozialen) Wohnungsbau will die Regierung stärker investieren, ihn aber auch durch Steuerentlastungen und Entbürokratisierung („Wohnungsbau-Turbo“) ankurbeln.
Eine verbindliche EU-Rahmenrichtlinie für Mindestsicherungssysteme ist nicht Teil des Koalitionsvertrages. Die Koalition plant, sich im Rahmen der geltenden Kompetenzverteilung zwischen der EU und ihren Mitgliedstaaten für wirksame Instrumente einzusetzen, um faire und gut funktionierende Arbeitsmärkte und Sozialsysteme zu fördern. Zudem bekennt sie sich zu den Zielen und Grundsätzen der Europäischen Säule Sozialer Rechte und möchte sich u. a. dafür einsetzen, soziale Ungleichheiten und Armut zu bekämpfen.
Die AWO fordert
Wir setzen uns dafür ein, allen Kindern die Chance zu geben eine solidarische Gesellschaft zu erleben. Die Kindergrundsicherung, wie sie von der derzeitigen Regierungskoalition vereinbart wurde, ist gescheitert – es braucht hier neue und umsetzbare Ansätze, die endlich spürbare Verbesserungen für alle Kinder bringen.
Darüber hinaus braucht es eine realitätsgerechte Neuermittlung der Regelbedarfe für Kinder und Jugendliche. Für Kinder und Jugendliche, die im Verlauf ihres Aufwachsens ein belastetes Verhältnis zu ihren Eltern hatten oder aktuell haben, müssen monetäre Leistungen elternunabhängig gewährt werden.
Alle Angebote der Kinder- und Jugendhilfe müssen gestärkt, Kommunen, Länder und freie Träger müssen bei der Umsetzung der inklusiven Kinder- und Jugendhilfe unterstützt werden.
Bildung muss wieder zur Priorität der Bundesregierung werden. Das derzeitige Bildungssystem verschärft Ungleichheiten und soziale Segregation. Bereits die Teilhabe an frühkindlichen Bildungs- und Betreuungsangeboten ist sozial ungleich verteilt. Wir fordern einen bedarfsgerechten Ausbau, sodass alle Kinder bereits früh qualitativ hochwertige Bildungsangebote in ausreichender Zahl vorfinden.
Hierfür sind Investitionen in ein barrierefreies und gerechtes Bildungssystem notwendig, Hürden für die Inanspruchnahme müssen abgebaut werden. Wir fordern die Festlegung verbindlicher Qualitätsstandards in der Kindertagesbetreuung und von Qualitätskonzepten im Bereich der ganztägigen Bildung und Betreuung von Grundschulkindern.
Wir fordern die Anhebung des BAföG auf ein bedarfsdeckendes Niveau. Vor dem Hintergrund steigender Wohnkosten bedarf es auch einer Anpassung der regional bisher nicht differenzierten Wohnkostenpauschale.
Die Verankerung der Kinderrechte auf Schutz, Förderung und Teilhabe im Grundgesetz gewährleistet, dass das Wohl und die Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen bei allen politischen Entscheidungen im Blick bleiben. Nur indem Kinder und Jugendliche beteiligt werden, können gesellschaftliche Wandlungsprozesse generationengerecht gestaltet werden.
Das steckt im Koalitionsvertrag
Das Konzept einer Kindergrundsicherung ist nicht Teil des Koalitionsvertrags – und auch eine Neuermittlung der Regelbedarfe für Kinder und Jugendliche ist nicht geplant. Allerdings soll der Teilhabebetrag im Bildungs- und Teilhabepaket von jetzt 15 auf 20 Euro angehoben werden. Zudem werden Kinderzuschlag und Wohngeld für Kinder zusammengeführt, als ein erster Schritt zur Vereinfachung im Leistungsdickicht.
Das Ziel einer inklusiven Kinder- und Jugendhilfe soll weiterhin verfolgt werden, allerdings sollen Lösungen mit Ländern und Kommunen erarbeitet werden, die für sie umsetzbar sind. Eine erneute Beteiligung der (Wohlfahrts-)Verbände und betroffenen Menschen wird nicht erwähnt. Leistungsausweitungen bzw. eine Ausweitung des berechtigten Personenkreises wird es so sicherlich nicht geben – die finanziellen Möglichkeiten von Ländern und Kommunen werden ausschlaggebend sein.
Das bisherige KiTa-Qualitätsgesetz soll durch ein finanziell besseres Qualitätsentwicklungsgesetz ersetzt werden. Im Rahmen des QEG soll eine zusätzliche Förderung für Sprach-Kitas und Startchancen-Kitas integriert werden. Das Konzept der Sprach-Kitas soll dafür weiterentwickelt werden. Zudem unterstützt der Bund die Länder bei der Ausbildung von Fachkräften, es soll eine duale Ausbildung für Erzieherberufe unter Beibehaltung des anerkannten Qualifikationsrahmens eingeführt werden.
Eine konkrete Ausgestaltung des QEG mitsamt der Integration von Sprach-Kitas und dem Vorhaben der Startchancen-Kitas wird nicht dargelegt.
Der Fokus wird zudem auf eine verpflichtende Teilnahme aller Vierjährigen an einer flächendeckenden, mit den Ländern vereinbarten Diagnostik des Sprach- und Entwicklungsstands eingeführt. Bei ermitteltem Förderbedarf werden von den Ländern geeignete, verpflichtende Fördermaßnahmen und -konzepte erwartet. Konkrete Maßnahmen oder Folgen lassen sich hier noch nicht ableiten.
Der Grundbedarf im BAföG soll in zwei Schritten hin zum Grundsicherungsniveau entwickelt und auch die Wohnkostenpauschale angehoben werden. Die Beantragung soll vereinfacht und digitalisiert werden.
Die Vorhaben, Kinderrechte im Grundgesetz festzuschreiben und das Wahlalter auf 16 Jahren auch bei der Bundestagswahl herabzusenken, werden nicht berücksichtigt.
Die AWO fordert
Als Erbringer sozialer Dienstleistungen sind wir für eine verlässliche und adäquate Regelfinanzierung für die Arbeitsmarktintegration. Fördermaßnahmen, Angebote und Trägerstrukturen müssen dauerhaft aufrechterhalten und weiterentwickelt werden. Fördermaßnahmen wie die mit dem Teilhabechancengesetz eingeführten §16i und §16e SGB II haben sich als effektive Instrumente erwiesen, um langzeitarbeitslose Leistungsberechtigte bei ihrem Zugang zum Arbeitsmarkt zu unterstützen und soziale Teilhabe zu fördern, können ihre Wirkung jedoch nur entfalten, wenn die dafür notwendigen finanziellen Mittel langfristig zur Verfügung gestellt werden. Die Praxis, dass die Jobcenter zum Teil Mittel aus dem Eingliederungstitel abziehen, um die eigene Verwaltung zu finanzieren, muss beendet werden. Wir fordern daher die Einführung eines eigenen Haushaltstitels für § 16i SGB II im Einzelplan des Bundessozialministeriums. Dieser muss einseitig deckungsfähig mit dem Eingliederungstitel sein, um gegebenenfalls Mittel für zusätzliche Förderungen bereitstellen zu können. Die Mittelausstattung muss adäquat für die Größe der Zielgruppe erfolgen.
Wir fordern das bereits im letzten Koalitionsvertrag festgehaltene Bundestariftreuegesetz auf den Weg zu bringen, um Qualität und Fairness bei öffentlichen Vergaben zu gewährleisten. Aufgrund der starken Preisfixierung bei der derzeitigen Vergabe haben Träger sozialer Dienstleistungen mit Tarifbindungen häufig das Nachsehen gegenüber Niedriglohnanbietern, die oft mit einer geringen Umsetzungsqualität arbeiten und zumeist nicht beabsichtigen dauerhafte Strukturen aufzubauen. Ein Bundestariftreuegesetz kann zusätzlich dazu beitragen, den Preisdruck auf Kosten der Beschäftigten zu beenden und auskömmliche sowie stabile Arbeitsbedingungen zu gewährleisten. Dadurch lassen sich Arbeits- und Fachkräfte gewinnen und langfristig halten.
Ein plurales Gemeinwesen braucht funktionierende und angemessen ausgestattete Institutionen, die für alle erreichbar sind. Um die Lage zu verbessern, brauchen wir Behörden, die der gesellschaftlichen Vielfalt Rechnung tragen, eine – gerade im Migrationsbereich – verständlichere Gesetzgebung sowie einfachere und zügigere Verwaltungsprozesse. In den Behörden brauchen wir eine Kultur, in der Diskriminierungen erkannt und unterbunden werden. Ein Abbau von Hürden in der Verwaltung und in Institutionen und ein diskriminierungssensibler Umgang trägt zusätzlich zu einer stärkeren Fachkräftegewinnung bei.
Der Arbeitskräftemangel, sowohl bei den Fach- als auch bei den ungelernten Kräften, ist eine zunehmende gesamtgesellschaftliche Herausforderung. Die Anwerbung sowie eine Aus- und Weiterbildung von Erwerbspersonen aus EU- und Drittstaaten birgt Potenzial, dem steigenden Mangel entgegenzuwirken. Insbesondere für die Anwerbung und Beschäftigung von Arbeits- und Fachkräften aus Drittstaaten braucht es EU-weite Mindeststandards. Angeworbene Personen müssen zu gleichen Bedingungen arbeiten und bezahlt werden, wie die anderen Beschäftigten mit vergleichbaren Tätigkeiten.
Das steckt im Koalitionsvertrag
Die Koalition will die ausreichende Mittelausstattung der Jobcenter sicherstellen – doch konkrete Zahlen werden nicht genannt. Der Passiv-Aktiv-Transfer soll gesetzlich verankert und ausgeweitet werden, doch ein eigener Haushaltstitel für die besonders effektiven Maßnahmen nach §16i wird nicht angekündigt.
Das Bundestariftreuegesetz soll kommen, auch wenn Detailfragen im Koalitionsvertrag noch offenbleiben. Es soll für Vergaben auf Bundesebene ab 50.000 € (für Start Ups in den ersten vier Jahren ab 100.000 €) Anwendung finden.
Die Anwerbung von Fach- und Arbeitskräften aus dem Ausland soll durch eine neue digitale Agentur für Fachkräfteeinwanderung gestärkt werden, indem z.B. die Anerkennung ausländischer Abschlüsse digitalisiert und beschleunigt wird.
Für Erzieherberufe soll unter Beibehaltung des anerkannten Qualifikationsrahmens die duale Ausbildung eingeführt werden.
Im Hinblick auf eine der gesellschaftlichen Vielfalt gerecht werdende Verwaltung und vereinfachte Verwaltungsverfahren ist die Einsetzung einer Kommission zur Reform des Sozialstaates am ehesten zu nennen. Diese soll Vorschläge zur Modernisierung und Entbürokratisierung im Sinne der Bürger*innen erarbeiten und im 4. Quartal 2025 erste Ergebnisse vorlegen. Wichtig: Die Relevanz diskriminierungsfreier Behörden auch vor dem Hintergrund der Fachkräftegewinnung und wie mehr Vielfalt in Behörden erreicht werden kann, wird nicht spezifisch thematisiert.
Die AWO fordert
Wir sind dafür, hohe Einkommen und Vermögen stärker zu besteuern. Sehr hohe Vermögen sind auf einige wenige Personen konzentriert. Menschen mit hohen Vermögen haben in der Regel auch ein überdurchschnittlich hohes Einkommen. Die Konzentration von Geld und Besitz wird durch das Erbschaftssteuerrecht begünstigt. Das konterkariert nicht nur das Versprechen des sozialen Aufstiegs der sozialen Marktwirtschaft, sondern stellt auch den Sozialstaat zunehmend vor Probleme bei der Finanzierung seiner Aufgaben im Bereich der sozialen Sicherung und Daseinsfürsorge. Für mehr Verteilungsgerechtigkeit und eine verlässliche Finanzierung der Sozialstaatsausgaben, von denen alle Bürger*innen profitieren, fordern wir daher:
- Eine stärkere und effektive Besteuerung von sehr hohen Einkommen. Ein erster Schritt ist die Anhebung des Reichensteuersatzes um mindestens einen Prozentpunkt.
- Eine Absenkung des Freibetrages für Betreuung, Erziehung und Ausbildung, die mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben vereinbar ist und zu einem einheitlichen Existenzminimum im Steuer- und Sozialrecht für alle Kinder und Jugendlichen führt.
- Eine Reform des Ehegattensplittings. Langfristiges Ziel sollte die Umstellung auf eine Individualbesteuerung mit übertragbarem Grundfreibetrag sein. Um soziale Härten zu vermeiden und Lebensleistung durch langjährige Care-Tätigkeiten anzuerkennen, darf die Reform nicht ohne Bestandschutz bzw. großzügige Übergangsregelungen für bereits bestehende Ehen auskommen.
- Die seit Ende der 1990er Jahre ausgesetzte Vermögensteuer muss in Einklang mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben endlich wieder erhoben werden. Die Einnahmen durch die Vermögensteuer müssen dabei gerecht auf alle föderalen Ebenen verteilt werden. Eine Alternative zu einer Vermögensteuer ist eine einmalige Vermögensabgabe für besonders hohe Vermögen, die über mehrere Jahrzehnte eingezogen wird und die öffentlichen Haushalte dadurch langfristig stabilisiert.
- Eine weitreichende Reform der Erbschaftsteuer, die insbesondere große Betriebsvermögen angemessen besteuert und leistungsloses Vermögen an der Finanzierung der Transformation beteiligt. Ein Lebensfreibetrag sollte die sich alle 10 Jahre erneuernden persönlichen Freibeträge für Ehepartner*innen und Kinder ersetzen.
Neben einer Stärkung der Einnahmenseite zur Finanzierung von Sozialleistungen und sozialen Diensten und Einrichtungen muss auch die Schuldenbremse abgeschafft werden. Angesichts der Krisen unserer Zeit und der hohen Investitionsbedarfe für die sozial-ökologische Transformation können wir uns keine blinde Sparpolitik mehr leisten.
Das steckt im Koalitionsvertrag
Eine soziale Wende in der Finanzpolitik sieht der Koalitionsvertrag in keiner Weise vor. Weder soll die Vermögenssteuer wieder eingesetzt noch die Erbschaftssteuer gerecht reformiert werden. Auch eine Erhöhung des Reichensteuersatzes und eine Abschaffung des Ehegatten-Splittings werden nicht in Betracht gezogen.
In Sachen Kinderfreibeträge soll zwar die Schere zwischen Kindergeld und Freibeträgen geschlossen werden – wie genau das geschehen soll, bleibt aber unklar. Eine Absenkung des Kinderfreibetrags für Betreuung, Erziehung und Ausbildung, der erwiesenermaßen wohlhabende Haushalte mit Kindern bevorteilt, wird nicht konkret genannt. Skizziert wird lediglich eine gesetzlich verankerte Erhöhung des Kindergelds, wenn die Freibeträge angehoben werden. Das ist und bleibt sozial ungerecht.
Eine Reform der Schuldenbremse wurde bereits vor Abschluss der Koalitionsverhandlungen mit dem alten Bundestag begonnen, indem die Nettokreditaufnahme der Länder erhöht und eine Bereichsausnahme für Wehrausgaben über einem Prozent des BIP eingeführt wurde. Ergänzt wurde dies durch das Sondervermögen Infrastruktur in Höhe von 500 Mrd. Euro. Der Koalitionsvertrag sieht jedoch vor, die Nutzung der Bundesmittel im Sondervermögen zunächst auf 150 Mrd. Euro für die Jahre 2025 bis 2029 zu beschränken – obwohl das Geld nun per Grundgesetzänderung zur Verfügung steht und dringend genutzt werden sollte.
Darüber hinaus soll eine Expert*innen-Kommission bis Ende 2025 einen Vorschlag für eine grundsätzliche Reform der Schuldenbremse vorlegen.
Die AWO fordert
Die Soziale Arbeit ist nicht bedarfsgerecht finanziert. Wir sind für eine bedarfsgerechte, regelhafte und nachhaltige Finanzierung sämtlicher sozialer Dienste und Einrichtungen – von der Kita bis zur Pflege. Ein wesentlicher Stützpfeiler unseres Sozialstaates sind hochwertige soziale Dienstleistungen und Beratungsangebote, die dazu beitragen, soziale Notlagen abzuwenden, Chancengerechtigkeit und Teilhabe aller in Deutschland lebenden Menschen zu fördern. Dabei müssen die sozialen Dienstleistungen stets den individuellen Lebenslagen angepasst werden.
Eine zentrale Herausforderung für nachhaltige Infrastrukturen der Sozialen Arbeit ist es, sich an die Bedarfe an die zunehmend diversen Gesellschaft anzupassen und Chancengerechtigkeit sowie Teilhabe zu ermöglichen. Um diese Aufgaben zu bewältigen, sind etablierte Infrastrukturen in der Sozialen Arbeit sowie finanzielle Sicherheit unerlässlich. Wir fordern daher einen Rechtsanspruch für die Beratung durch Programme wie die Migrationsberatung für Erwachsene Zugewanderte (MBE) oder die Jugendmigrationsdienste (JMD), die bislang nur jährlich durch Projektmittel gefördert werden. Für etablierte Strukturen müssen Mittel mehrjährig bereitgestellt werden, um die Erfüllung der eigentlichen Aufgaben, wie Fachkräftegewinnung durch Qualifizierung, Integration in den Arbeitsmarkt und gesellschaftliche Teilhabe zu beschleunigen. Zudem sollten die Eigenanteile, die gemeinnützige Träger nur in sehr begrenztem Umfang leisten können, reduziert und stattdessen bedarfsdeckende Zuwendungen vergeben werden.
Darüber hinaus muss die Gemeinnützigkeit stärker in den Fokus der politischen Auseinandersetzung kommen. Wir brauchen einen Vorrang für Gemeinnützigkeit. Bei neuen Förderprogrammen des Bundes muss gemeinnützigen Strukturen klare Vorfahrt vor privaten Akteur*innen gegeben werden – denn im Sozialen haben Profite nichts zu suchen!
Das steckt im Koalitionsvertrag
Mehrjährige, durch Rechtsansprüche begründete Finanzierungsrahmen für bundesgeförderte soziale Infrastrukturen werden nicht in Aussicht gestellt. Die Praxis der jährlichen Projektbewilligung und die damit zusammenhängende Planungsunsicherheit bleiben auch für etablierte Programme wie die Migrationsberatung bestehen. Auch die Problematik der steigenden Eigenanteile, die gemeinnützige Organisationen für Bundeszuwendungen oft aufwenden müssen, wird nicht adressiert.
Eine Initiative zur Stärkung der Gemeinnützigkeit, z.B. durch einen Vorrang bei Förderprogrammen, ist ebenfalls nicht geplant. Zwar soll das Gemeinnützigkeitsrecht vereinfacht, Bürokratie abgebaut und die Gemeinnützigkeitsprüfung für kleine Vereine erleichtert werden. Aber auch hier werden keine konkreten Eckpunkte genannt.
Gut zu hören ist aber: Die Mittel für den Kinder- und Jugendplan werden 2026 um 10 Prozent erhöht und danach dynamisiert, d.h. stetig angehoben, um Preis- und Tarifsteigerungen auszugleichen! Auch für einige andere Bereiche wurden bedarfsgerechte bzw. auskömmliche Finanzierungen in Aussicht gestellt, so z.B. für die Migrationsberatung für Erwachsene oder für die Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege. Da diese Ausgaben allerdings aus dem Regelhaushalt zu stemmen sein werden, stehen sie unter dem allgemeinen Finanzierungsvorbehalt.
Die AWO fordert
Wir sind für die Verankerung von Klimaschutz und Nachhaltigkeit im Sinne der globalen Nachhaltigkeitsziele in den Sozialgesetzbüchern – als gleichrangige Ziele neben Aspekten wie der Wirtschaftlichkeit.
Leistungs-, Versorgungs- und Rahmenverträge zwischen den Leistungserbringern und Leistungsträgern müssen die nachhaltige Gestaltung der Dienstleistungen einfordern und gewährleisten.
Darüber hinaus braucht es ein eigenständiges Förderprogramm “Klimaschutz und -anpassung in der Freien Wohlfahrtspflege“, das an die Bedarfe sozialer Träger angepasst und mit geeigneten Förderquoten und Fördersummen ausgestattet sein muss, insbesondere für die energetische Sanierung, aber auch für Klimaanpassungsmaßnahmen in den über 100.000 Gebäuden im Bestand der Freien Wohlfahrtspflege. Wir fordern ebenfalls einen klaren gesetzlichen Rahmen für gesundheitlichen Hitzeschutz auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene. Dabei sollten auch institutionelle Hitzeschutzpläne (u.a. für Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen) als Pflichtaufgabe gesetzlich verankert werden. Die Bundes- und Landesebene müssen hierfür ausreichend finanzielle Mittel zur Verfügung stellen.
Rechtliche und finanzielle Hürden, die Investitionen in dezentrale erneuerbare Energieerzeugungen entgegenstehen, müssen konsequent abgebaut werden. Der Gemeinnützigkeitsstatus darf durch Eigenenergieerzeugung nicht gefährdet sein, sondern im Gegenteil: Eigenenergieerzeugung durch gemeinnützige Akteur*innen verdient Förderung!
Der „European Green Deal“ hat das ehrgeizige Ziel, bis 2050 Klimaneutralität zu erreichen. Die Bundesregierung muss sich dafür einsetzen, dass die Ziele des Green Deals weiterhin mit ambitionierten Rechtsakten unterlegt und nicht verwässert werden, wie es dem Verbrenner-Aus droht. Nur eine konsequent ausgerichtete europäische Nachhaltigkeitspolitik, die Klimaschutz als Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge anerkennt und ihn gleichzeitig ambitioniert sowie sozial und gerecht gestaltet, kann die Herausforderungen bewältigen.
Das steckt im Koalitionsvertrag
Eine Verankerung von Klimaschutz und Nachhaltigkeit in der Sozialgesetzgebung ist nicht geplant, genauso wenig wie neue Förderprogramme für gemeinnützige soziale Träger. Das Wort „Hitzeschutz“ wird nicht erwähnt, es soll aber einen Sonderrahmenplan Naturschutz und Klimaanpassung geben.
Am European Green Deal und den damit verbundenen Klimazielen will die Koalition festhalten, aber sich gleichzeitig für eine Weiterentwicklung mit Blick auf Wettbewerbsfähigkeit und soziale Akzeptanz einsetzen.