Ehrenamtliche Funktionsträger*innen stärken
Dieser Artikel entstand im AWO-Netzwerk „Zukunft des Mitgliederverbandes“. Im Netzwerk organisieren sich Hauptamtliche, die den Mitgliederverband stärken wollen. Dazu werden Praxisbeispiele und Handlungsvorschläge zur Aktivierung und Vernetzung der Ortsvereine sowie der Öffnung des Verbandes für neue Formen des Engagements gesammelt. Der vorliegende Artikel stammt aus der Arbeitsgruppe „Ehrenamtliche Funktionsträger*innen stärken“ und wurde von Karin Koll (AWO Bezirksverband Weser-Ems e.V.), Ute Späth (AWO Bezirksverband Ober- und Mittelfranken e. V.), Elke Straus (AWO Bezirksverband Rheinland e.V.), Ingrid Ries (AWO Landesverband Thüringen e.V.), Sascha Erben (AWO Bezirksverband Württemberg e.V.), Christian Wolkenstein (AWO Landesverband Mecklenburg-Vorpommern e.V.), Katharina Neumann (AWO Bezirksverband Hannover) verfasst. Er spiegelt die Meinung der Autor*innen wider.
Die Arbeiterwohlfahrt weist besonders im ehrenamtlichen Bereich eine hohe Altersstruktur auf. Ehrenamtliche Vorstände mussten zuletzt immer häufiger aus Altersgründen ihre Ämter niederlegen. Unter anderem dadurch steht der Verband bereits seit einiger Zeit vor der immer größer werdenden Herausforderung, ausreichend ehrenamtliche Vorstände für die Arbeit in Ortsvereinen und Kreisverbänden zu gewinnen, was durch die Pandemie noch verstärkt wurde.
Das führt teilweise dazu, dass Personen in mehreren Ortsvereinen im Vorstand aktiv sind. Damit möchten die handelnden Personen verhindern, dass Ortsvereine aufgrund fehlender Vorstandsmitglieder aufgelöst werden müssen. Immer häufiger kann aber eine Auflösung von Ortsvereinen wegen fehlender Vorstandsmitglieder nicht mehr verhindert werden. Die zu besetzenden Vorstandsämter werden immer komplexer und die Fülle der Aufgaben ist häufig kaum mit dem Berufsalltag vereinbar. Besonders die Anforderungen der Bürokratie (Steuer, Datenschutz, Versicherungsfragen, GEMA etc.) sowie weitere notwendige Maßnahmen (Mitgliedergewinnung, Social Media etc.), aber auch zahlreiche verbandsinterne Vorgaben schmälern die Attraktivität eines ehrenamtlichen Vorstandspostens erheblich. An einem Ehrenamt Interessierte fürchten, dass sie diesen inhaltlichen und zeitlichen Herausforderungen und Vorgaben nicht gewachsen sind. Ein weiterer, nicht zu unterschätzender Aspekt ist die Furcht vor der persönlichen Haftung im Schadensfall sowie das zu bewältigende „Befindlichkeitsmanagement“ im Verband.
Es müssen dringend Maßnahmen ergriffen werden, die die Verbandsstruktur der Arbeiterwohlfahrt künftig fortlaufend absichern. Ansonsten wird die AWO in den nächsten Jahren vor dem Problem einer notwendigen Umstrukturierung der gesamten Verbandsstruktur stehen, da der ursprünglich große Anteil der Aufgaben, der den Ehrenamtlichen zukommt, nicht aufrechterhalten werden kann.
Die Herausforderung ist damit klar benannt: Die AWO benötigt neue, verhältnismäßig junge (unter 65 Jahre) ehrenamtliche Funktionsträger*innen. Es muss uns gelingen, das Ehrenamt so attraktiv zu gestalten, dass klassische Vereinsstrukturen durch ehrenamtliche Vorstände aufrechterhalten werden können. Der Verband braucht Verantwortungsträger*innen, die bereit sind, für die Gemeinschaft und Gesellschaft einzustehen. Dafür benötigt es Verbandsstrukturen, die hauptamtlich gestützt werden und Mut zur Veränderung.
In diesem Artikel formulieren wir Vorschläge, wie bereits in der AWO tätige ehrenamtliche Vorstände und neue ehrenamtliche Funktionsträger*innen in ihrer Arbeit unterstützt und gestärkt werden können. Es muss durch geeignete Maßnahmen gelingen, Mitglieder und Interessierte für die Arbeit im Vorstand von Ortsvereinen und Kreisverbänden zu begeistern und die zu besetzenden Posten attraktiv und interessant zu gestalten.
Was lässt sich konkret tun, um das Ziel anzugehen? Welche guten Beispiele gibt es im Verband?
1. Engagementmanager*innen zur Stärkung der OV-Aktivitäten
Eine Möglichkeit, um Vorstände zu entlasten und gleichzeitig Ortsvereine zu beleben wird gerade in einem Pilotprojekt im Kreisverband Rems-Murr im Bezirksverband Württemberg erprobt: Eine Engagementmanagerin soll Ortsvereine unterstützen, ihre ehrenamtlichen Angebote aufrechtzuerhalten und auszubauen, um so auch neue Zielgruppen zu erreichen.
Die Engagementmanagerin ist Sprachrohr, Tippgeberin und Motivatorin in einem. Sie hat immer frische Ideen und hilft bei der Lösung von Problemen. Sie gibt rechtzeitig Warnsignale an die übergeordnete Gliederung und unterstützt bei der Suche nach neuen Vorstandsmitgliedern. Dank ihrer Expertise als Hauptamtliche ist sie eine unermüdliche Ansprechpartnerin und Unterstützerin für die Ortsvereine. Die Stelle der Engagementmanagerin ist beim Bezirksverband angesiedelt, um als Vernetzerin aus allen Verbandsebenen möglichst viele Informationen zu sammeln. Sie nimmt an Veranstaltungen des Bundesverbands teil, tauscht sich mit den Verbandskolleg*innen auf Bezirksebene aus und steht im Kontakt mit dem Vorstand des KV, um die Ortsvereine bestmöglich mit Informationen zu versorgen und zu inspirieren.
In ihrer Tätigkeit hat die Engagementmanagerin bereits mehrere Vorstandswechsel erfolgreich begleitet, eine Kinderfreizeit eines OVs gemeinsam mit dem Jugendwerk reaktiviert, ein AWO-Familienfest organisiert und neben Vortragsreihen weitere Angebote vor Ort initiiert. Dabei steht ihr ein Stellenumfang von 20 % zur Verfügung. Wichtig ist, dass die Engagementmanagerin explizit nicht für die organisatorische Unterstützung (wie z.B. Betreuung der ZMAV) zuständig ist, damit sie sich auf den Erhalt und Ausbau der AWO-Angebote vor Ort konzentrieren kann. Mit diesem Ansatz wollen wir sicherstellen, dass die Ortsvereine auch in Zukunft erfolgreich ihre ehrenamtlichen Aufgaben erfüllen können und ihre Arbeit wertgeschätzt wird.
„Die Engagementmanagerin ist Sprachrohr, Tippgeberin und Motivatorin in einem.“
2. Entlastung der Funktionsträger*innen durch Hauptamtliche in den Gliederungen
Doch auch eine administrative Entlastung von ehrenamtlichen Funktionsträger*innen durch Hauptamtliche ist denkbar. So kann eine hauptamtliche Verwaltungskraft im Kreisverband z. B. die Mitgliederverwaltung, die Planung und Organisation von Kreiskonferenzen und die Unterstützung der Ortsvereine übernehmen. Hauptamtliche Mitarbeiter*innen der Landes- oder Bezirksverbände können z. B. bei Satzungsänderungen und der Erstellung von Kassenberichten beratend zur Seite stehen. Außerdem können sie Unterstützung bei der Mitgliedergewinnung, Fördermittelbeantragung oder Öffentlichkeitsarbeit leisten.
3. Gemeinsam statt einsam – der Teamvorstand als Entlastung für ehrenamtliche Funktionsträger*innen
Ein weiterer Ansatz ist, die Vorstandsarbeit in ein Teamvorstandsmodell zu organisieren. Statt der klassischen Vorstandsposten werden hierbei die Verantwortung und die anfallenden Aufgaben auf mehrere Schultern verteilt. Dazu muss die Satzung entsprechend angepasst werden, wobei das Vereinsrecht genügend Spielraum für die Ausgestaltung gibt. Die Vertretung nach BGB muss sichergestellt sein. Aber die Satzung kann darüber hinaus bestimmen, dass dem Vorstand Personen angehören, die nicht nach § 26 BGB vertretungsberechtigt sind. In diesem Fall muss aber die Satzung genau regeln, wer vom Vorstand zur Vertretung des Vereins berechtigt ist und wer nicht. Damit klar ist, wer welche Aufgaben innerhalb dieses Teamvorstandes übernimmt, sollte dies innerhalb des Vereins mittels einer eigenen Geschäftsordnung geregelt werden. Auch Projektgruppen bzw. Arbeitsgruppen (z.B. für Öffentlichkeitsarbeit oder Veranstaltungsorganisation) können Zuständigkeiten und Verantwortung übernehmen und damit die Funktionsträger entlasten.
Eine AWO-Organisation, die diesen neuen Ansatz gewählt hat und erfolgreich umsetzt ist der Vorstand des Bundesjugendwerkes der AWO. Der Vorstand besteht aus den beiden Vorsitzenden, die den Verein rechtlich vertreten und weiteren sieben stellvertretenden Beisitzer*innen sowie drei Revisor*innen. Die Zuständigkeiten innerhalb des Vorstandes regelt ein Geschäftsverteilungsplan, der nach Interessen und Kapazitäten der einzelnen Vorstandsmitglieder vereinbart wird.
Eine modernere und offenere Herangehensweise kann das Image der Vorstandsarbeit verbessern. Geteilte Aufgaben und Zuständigkeiten verhindern, dass Einzelne mit der Aufgabenfülle auf Dauer überlastet werden. Die Verantwortung mit den Mitgliedern zu teilen, schafft Identifikation mit dem eigenen Verein und steigert die Motivation ein solches Amt zu übernehmen.
Wie müssen wir als Verband weiter an dem Thema arbeiten?
Um den geschilderten Problemen begegnen zu können, muss auch jenseits der geschilderten Beispiele über eine grundlegende Strukturreform nachgedacht und beraten werden. Hierbei sollten besonders die vorhandenen Vereinsstrukturen revidiert und hinsichtlich der Aktualität geprüft und bewertet werden.
Alternative Organisationsformen vor Ort
Der Bundesverband stellt, unterstützt durch die Gliederungen, konkrete Umsetzungshinweise für alternative Organisationsformen vor Ort, z. B. Fördervereine oder Stützpunkte, zur Verfügung. Die Hinweise müssen Informationen zu Rechten und Pflichten, sowohl vereinsextern als auch vereinsintern, beinhalten. Wichtig hierbei ist auch die Gegenüberstellung von Vor- und Nachteilen dieser alternativen Organisationsformen. Dies ist ein wichtiger Schritt, damit die Angebote der AWO erhalten werden, auch wenn ehrenamtliche Vorstandsposten nicht nachbesetzt werden können.
Ein einfacherer Schritt ist die Prüfung und Bekanntmachung alternativer Vorstandsformen oder -zusammensetzungen, z. B. des erwähnten Teamvorstandes, der das gleichberechtigte Führen im Vorstand ermöglichen könnte. Diesbezüglich muss im Einzelfall eindeutig geklärt werden, wie eine Umsetzung gestaltet wird und in wessen Verantwortungsbereich Haftbarkeiten verortet sind.
Schulungsangebote verbessern
Schulungen stellen zweifellos ein wichtiges Element zur Befähigung von bestehenden und neuen Vorstandsmitgliedern dar: Die Funktionsträger*innen müssen die Möglichkeit zur regelmäßigen Teilnahme an Schulungen bekommen, die sich an den inhaltlichen Bedarfen der Ehrenamtlichen orientieren. Leider lässt sich aber feststellen, dass die Teilnahmequoten an innerverbandlichen Schulungsangeboten oft gering sind. Wir schlagen drei Ansätze vor, um die Nutzung von Schulungen zu steigern.
Als erster Lösungsansatz wird die Aufnahme von Schulungsvideos zu vorstandsrelevanten Themen vorgeschlagen, sodass Ehrenamtliche diese nach Bedarf abrufen können, ohne an feste Präsenz- oder Onlinetermine gebunden zu sein. Um Ressourcen zielgerichtet einzusetzen, könnte zweitens eine zentrale Schulungsplattform mit dezentralen Schulungsinhalten eine Option sein, damit ehrenamtlich Tätige gliederungsübergreifend Angebote wahrnehmen können.
Besonders für jene Ehrenamtliche, die ungern an Onlineveranstaltungen teilnehmen, bieten sich drittens Schulungen vor Ort in den Kreisverbänden an. Allerdings steht das Hauptamt an dieser Stelle vor dem Problem, dass Schulungsbedarfe von den zu Schulenden oft nicht genau benannt werden können. Außerdem rechtfertigen die Teilnahmequoten vor Ort häufig kaum den Aufwand der Vorbereitung und Durchführung einer Schulung.
„Es geht darum, Übergänge als Chance zu verstehen und unsere Gliederungen durch eine gezielte Begleitung rechtzeitig zu stärken […].“
Professionalisierung in der Gewinnung von ehrenamtlichen Vorständen
Viele Vereine überlassen den Wechsel im Vorstand dem Zufall und suchen nicht aktiv nach potenziellen Nachfolger*innen, obwohl es in dieser Phase viele Chancen gibt. Durch das Finden der richtigen Person zur richtigen Zeit kann ein inaktiver Verein wiederbelebt werden. Es gibt viele erfolgreiche Beispiele dafür im Verband, auch in jüngerer Vergangenheit.
Studien zeigen, dass die Bereitschaft, sich ehrenamtlich zu engagieren, nach wie vor hoch ist. Immer mehr Menschen gehen in den Ruhestand und suchen nach neuen Aufgaben im Leben. Viele von ihnen waren jahrelang in Führungspositionen tätig und könnten wertvolle Führungserfahrungen einbringen. Wir sollten uns daher überlegen, wie wir solche Menschen motivieren können, ein Ehrenamt bei der AWO zu übernehmen.
Dafür müssen wir uns als Verband mit einigen Fragen auseinandersetzen: Wann sollte in einem Ortsverein der Übergangsprozess hin zu einem neuen Vorstand beginnen? Wer ist für die Gestaltung der Übergänge verantwortlich? Wie können wir freiwerdende Vorstandsposten attraktiv kommunizieren? Wie können wir Menschen identifizieren, die Verantwortung übernehmen möchten und sich mit unseren Werten identifizieren (auch ohne AWO-Hintergrund)?
Es geht darum, Übergänge als Chance zu verstehen und unsere Gliederungen durch eine gezielte Begleitung rechtzeitig zu stärken, bevor sie aufgrund fehlender eigener Kapazitäten aufgelöst werden müssen. Indem wir uns den genannten Fragen stellen und aktiv handeln, können wir den Übergangsprozess optimal gestalten und unsere Gliederungen langfristig erhalten.
Fazit
Hinsichtlich der Altersstruktur im Ehrenamt innerhalb der AWO ist anzumerken, dass künftig besonders Jüngere für die Mitarbeit in Vorständen angesprochen und gewonnen werden sollten, um mittel- und langfristig die Nachfolgeprobleme bewältigen zu können. Vor dem Hintergrund ist es bedeutend, dass die Vereinbarkeit von ehrenamtlichem Engagement, Beruf und Familie verbessert wird.
Ein weiterer Aspekt, der in den Strukturreformen bedacht werden sollte, ist der abnehmende Wille der Menschen, sich für eine ehrenamtliche Aufgabe über längere Zeit zu binden. Sie bevorzugen häufig eher ein projektbezogenes Ehrenamt. Die Engagementbereitschaft ist in der Gesellschaft vorhanden, allerdings müssen die Organisationen, in denen ehrenamtliches Engagement möglich ist, sich auf neue Engagementformen einstellen und einlassen.
Besonders Organisationen und Wohlfahrtsverbände mit einem traditionellen und konservativen Image haben im Zuge einer Strukturreform die Möglichkeit, moderner und offener zu wirken und dadurch auch junge Menschen anzusprechen.
Die oben aufgeführten Beispiele zeigen, dass mit Veränderungswille und Kreativität die Zukunft der AWO neugestaltet und somit sichergestellt werden kann.