Quartiersarbeit

Quartiersarbeit

Gute Nachbarschaft

Bezirksverband Ostwestfalen-Lippe: Quartiersspaziergänge, Hilfen von jung für alt, Digital-Treffs in der Kirche - vielfältiges Quartiersmanagement trotz Pandemie

Foto: Gemeinsam unterwegs bei herrlichem Wetter: Bewohner*innen beim Quartiersspaziergang im Sennestädter Norden

Quartiersmanagement, Quartiersarbeit oder auch Quartiersentwicklung – viele Begriffe, die in der Regel das gleiche Ziel haben: Nah- und Sozialräume weiterzuentwickeln, Räume zu öffnen und Partizipation für die Bewohnerinnen und Bewohner eines Quartiers zu schaffen, so erklärt es Karin Heuer, die das Quartiersentwicklungsprojekt im Sennestädter Norden maßgeblich mit aufgebaut hat. Mit Quartiersarbeit sollen Eigenpotenziale und auch Selbstwirksamkeit der Menschen eines Quartiers gefördert werden. Das Stichwort Einsamkeit ist dabei ein sehr zentrales, denn es liegt eine große Herausforderung darin, der wachsenden Einsamkeit gerade älterer und alleinlebender Menschen zu begegnen und diese im Rahmen von Quartiersarbeit in Netzwerke und ihre Nachbarschaft zu integrieren.

Nachbarschaft gestalten – Wie geht das?

„Die Menschen fragen, was sie brauchen und was sie sich wünschen“, sagt Quartiersmanagerin Patrizia Wonderschütz, die ihre im Rahmen eines vom Deutschen Hilfswerk geförderten Projekts finanzierte Tätigkeit im Bielefelder Stadtteil Sennestadt Ende 2019 aufnahm. In vielen konkreten Vorhaben durch die Pandemie ausgebremst, startete sie Ende 2020 eine groß angelegte Umfrage bei den Menschen in „ihrem“ Quartier. Herauskristallisiert haben sich vor allem drei Wünsche:

  • Viele Menschen sehnen sich nach gemeinsamer Bewegung draußen.
  • Vor allem ältere Menschen, die einen großen Anteil der Quartiersbewohner*innen ausmachen wünschen sich individuelle Unterstützung bei Tätigkeiten wie Rasenmähen, Einkaufen oder mit dem Hund Spazierengehen.
  • Hilfe mit dem Handy und anderen digitalen Geräten stand ebenfalls bei den älteren Menschen weit oben auf der Wunschliste

Ohne Kooperationspartner*innen und Freiwillige geht es nicht

Für die Umsetzung der Wünsche der Menschen in konkrete Aktionen suchte die Quartiersmanagerin nach passenden Kooperationspartner*innen und wurde fündig:

  • Gemeinsam mit dem Stadtsportbund und den Sportfreunden Sennestadt werden nun Quartierspaziergänge organisiert. Jede Woche zu einer festen Uhrzeit treffen sich zwei Freiwillige zusammen mit vorrangig älteren Menschen und gehen gemeinsam eine Stunde spazieren.
  • Das Jugendzentrum LUNA ist Kooperationspartner für Hilfsangebote von jüngeren für ältere Menschen. Gemeinsam wurde das Konzept der Taschengeldbörse erarbeitet. Durch diese werden Jugendliche vermittelt, die bereit sind im Rahmen niedrigschwelliger Nachbarschaftshilfe Unterstützung zu leisten. Die Jugendlichen bekommen für die Unterstützung der älteren Menschen ein kleines Taschengeld (ca. 5€/Stunde). So soll auch die intergenerative Begegnung gestärkt werden: Jugendliche können sich im sozialen Kontext engagieren und ältere Menschen erfahren Entlastung. Ein wechselseitiges Verständnis zwischen den Generationen soll so gefördert werden.
  • In Kooperation mit der evangelischen Kirchengemeinde Sennestadt soll das Thema „digitaler Zugang für Ältere“ im Quartier vorangetrieben werden. Ungleiche digitale Teilhabe-Chancen verstärken soziale Ungleichheiten, da immer mehr Angebote umgestellt (z.B. Einkaufsservice, Bahnticket) und Menschen somit abgehängt werden. Ende November 2021 wurden interessierte Freiwillige zum Thema „Ältere und Digitalisierung“ geschult. An jedem dritten Sonntag im Monat soll ab Januar 2022 ein offener Digital-Treff in den Räumen der Kirchengemeinde stattfinden. Das Angebot ist für alle offen und konfessionsunabhängig. Die Stadt Bielefeld fördert das Projekt mit finanziellen Mitteln für die entsprechende Hardware (Tablets). Diese können bei Bedarf auch ausgeliehen werden oder im 1:1 Kontakt in der eigenen Häuslichkeit in Anspruch genommen werden.

Weitere Aktivitäten im Quartier

Nachbarschaftsnetzwerk: Gegründet wurde auch ein Nachbarschaftsnetzwerk, aus dem regelmäßige Treffen entstanden, die nach den Sommerferien 2021 an den Start gingen. Bei Kaffee und Kuchen konnte sich, zunächst in einer kleinen Runde von ca. 15 Personen über Persönliches ausgetauscht werden. Diese Treffen bieten ebenfalls die Möglichkeit, weiter mit den Nachbarn ins Gespräch zu kommen und Ideen, Wünsche und Bedarfe zu evaluieren.

Gemeinsam essen gegen Einsamkeit: Seit dem Sommer 2021 ist es für die Nachbarn wieder möglich mittags im Seniorenzentrum Frieda-Nadig-Haus zu essen, das zentral im Quartier liegt. Während der Kontaktbeschränkungen gab es nur die Möglichkeit, sich das Essen abzuholen. Im Sinne des Entgegenwirkens von Einsamkeit, ist dieses Angebot insbesondere für die alleinstehenden und verwitweten Männer aus dem Quartier wichtig. Aktuell treffen sich ca. zehn Personen regelmäßig zum Mittagstisch. Aus einigen Kontakten des Mittagstisches haben sich Freundschaften entwickelt, die sich auch außerhalb des Mittagstischs regelmäßig treffen.

Beratung bei Fragen rund um das Thema Alter, Versorgung und Pflege: Das Beratungsangebot wird durch intensive Öffentlichkeits- und Netzwerkarbeit immer bekannter im Quartier und dadurch stärker nachgefragt. In der Corona-Zeit wurde das Beratungsangebot als Hausbesuch angeboten, die Beratung per Telefon erfolgt unabhängig von Corona regelmäßig. Im Jahr 2021 nahmen ca. 40 Personen das Informations- und Beratungsangebot in Anspruch.

Bücherschrank: In Kooperation mit der Rege mbH1, einer Tochtergesellschaft der Stadt Bielefeld, wurde von Arbeitssuchenden im Oktober 2021 ein Bücherschrank gebaut. Die Sparkasse unterstützt das Projekt, indem der Bücherschrank direkt an einer Filiale im Quartier auf deren Grundstück stehen darf. Die Stelle ist nicht nur zentral, sondern auch noch gut beleuchtet und stark frequentiert, sodass möglichem Vandalismus vorbeugt wird. Anfang November 2021 wurde der Bücherschrank aufgestellt und vor kurzem zusammen mit dem Bezirksbürgermeister und Vertretern der Sparkasse eingeweiht. Der Bücherschrank soll zu einer nachhaltigen Aufwertung des Quartiers führen und auch einkommensschwächeren Menschen einen Zugang zu Bildung und Teilhabe ermöglichen.

Hauswirtschafts- und Betreuungsdienst: Dieser wurde bereits 2019 vom örtlichen AWO Seniorenzentrum gegründet und in 2021 weiter ausgebaut. Aktuell werden ca. 20 Menschen aus der Nachbarschaft durch drei fest angestellte Mitarbeiterinnen betreut. Eine weitere Ausweitung ist geplant, da die Nachfrage im Quartier sehr hoch ist. Die durch die Quartiersentwicklerin angebotene Beratung, Information und Vernetzung führte zu einer vermehrten Inanspruchnahme der Versorgungsleistungen durch den Hauswirtschafts- und Betreuungsdienst. Durch die Beratungsgespräche sind wertvolle Kontakte in die Nachbarschaft entstanden. Einige der Kunden des Hauswirtschaftsdienstes konnten auch für das Nachbarschaftsnetzwerk gewonnen werden. Andere engagieren sich ehrenamtlich in den Projekten des Quartiers (Digitalbotschafter, Spaziergänge). So profitiert der Dienst vom Quartiersprojekt und umgekehrt.

Kochen über den Tellerrand: Das Projekt „Kochen über den Tellerrand“ stammt aus der Zeit, als viele Geflüchtete nach Sennestadt kamen (2015). Die Idee war, dass interkulturell abwechselnd gekocht wird. Die Räumlichkeiten wurden von der evangelischen Johanneskirche zur Verfügung gestellt. Nachdem die Stelle des Projektkoordinators in 2020 ausgelaufen war, übernahm die Quartiersentwicklerin den Part der Koordination. Die ersten Treffen in 2021 fanden digital statt. Insgesamt drei Mal wurde so gemeinsam gekocht und sich über die verschiedenen Kulturen ausgetauscht. Bei den Zoom-Veranstaltungen haben fünf bis sieben Leute im Alter von 20-70 Jahren teilgenommen, in Präsenz waren es früher bis zu 15 Personen. Geplant sind für 2022 wieder Präsenz-Kochabende in der Küche der Kirche unter den geltenden Corona-Schutzmaßnahmen. Das Angebot ist offen für alle und nicht konfessionsgebunden.

Was ist noch geplant?

Nachbarschaftstreffen: Vor der pandemiebedingten Aussetzung waren Nachbarschaftstreffen, die Anfang 2020 noch zwei Mal mit ca. 50-60 Personen stattfanden eine wichtige und nachgefragte Veranstaltung im Quartier. Zum einen konnten sich die Nachbarn untereinander treffen und austauschen, zum anderen ist es eine gute Gelegenheit, viele Stimmen aus dem Quartier zu hören und die aktuellen Belange und Wünsche aufzunehmen. Ziel dieser Veranstaltung ist es außerdem, alle Nachbarn aus dem Quartier anzusprechen und so ein generationenübergreifendes Treffen zu etablieren.

Sprachkurse für Migranten: Zusammen mit zwei Kindertagesstätten aus dem Quartier und der Johanneskirche sind für Frühjahr 2022 Deutschkurse für Zugewanderte geplant. Der entsprechende Bedarf wurde von einigen Eltern der beiden Kitas geäußert. Aktuell ist die Nachfrage an Sprachkursen im Quartier größer als die Angebote. Die Kirche würde als Kooperationspartner Räumlichkeiten zur Verfügung stellen. Die Kurse sollen ebenfalls der Vernetzung der Eltern untereinander im Quartier dienen.

Nachbarschaftsfest: Geplant ist, zusammen mit einer Kita aus dem Quartier ein generationenübergreifendes Nachbarschaftsfest durchzuführen. Dieser Wunsch wurde mehrheitlich in der Befragung der Kita-Eltern geäußert. Das Fest ist für Sommer 2022 geplant.

Langfristige Finanzierung von Quartiersarbeit nötig

Das Projekt „Wir im Sennestädter Norden“ läuft noch bis zum 30. November 2022. Bis dahin hat Quartiermanagerin Patrizia Wonderschütz hat noch viel vor und hofft auf einen Sommer mit weniger Einschränkungen durch die Pandemie. Auch hat sie bei den angestoßenen Projekten immer die Nachhaltigkeit im Blick und arbeitet daher mit vielen Freiwilligen, die geschult und begleitet werden. Damit fällt der Blick auf ein Kernproblem der Quartiersarbeit: Quartiersmanager*innen wie Patrizia Wonderschütz werden im Rahmen von Projekten beschäftigt, die maximal über drei Jahre laufen - ein gängiger Förderzeitraum für Projekte, die vom Bund, Land oder von Stiftungen unterstützt werden. Erfolgreiche Quartiersarbeit brauche jedoch immer jemanden im Hintergrund, eine Person, die sich kümmert und zwar in hauptamtlicher Funktion. Eine Möglichkeit zur dauerhaften Finanzierung sei anzustreben, denn Freiwillige und Ehrenamtliche könnten die angestoßene Arbeit zumeist nicht ganz allein fortführen, es bedürfe im Sinne der selbstständigen und nachhaltigen Fortführung immer eines Mindestmaßes an Koordination, so Karin Heuer.

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